Stadtführung - Mit Reutlingens ehemaligem Feuerwehr-Vizechef auf den Spuren des Stadtbrands von 1726
Feuerschein bis in die Schweiz
VON ELKE SCHÄLE-SCHMITT
REUTLINGEN. Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes war er: der große Stadtbrand, bei dem 1726 zwei Drittel aller Reutlinger Häuser zerstört und 1 200 Familien obdachlos wurden. Bald drei Jahrhunderte liegt die vernichtende Feuersbrunst zurück. Dennoch sind Spuren und Folgen noch heute zu erkennen, wenn man mit aufmerksamem Blick durch die Altstadt geht - oder, noch besser, mit einem sachkundigen Führer wie Helmut Kober.
Pensioniert und passioniert Der im Stadtzentrum geborene und bis heute dort wohnende Reutlinger war fast sein ganzes Leben lang bei der Feuerwehr; die letzten 17 Jahre als stellvertretender Kommandant. Seit zwei Jahren ist Kober nun im Ruhestand. Am Heimatmuseum empfängt der pensionierte, nach wie vor passionierte Feuerwehrmann die Teilnehmer der Themenführung und nimmt sie mit ins Obergeschoss des Museums.
Aus einem kleinen Film und anhand des hölzernen Stadtmodells erfährt man, wie das Feuer am Abend des 23. September 1726 im Haus des Schusters Dürr in der Nähe der Nikolaikirche ausbrach und sich unaufhaltsam in der ganzen Stadt ausbreitete, wo es zwei Tage lang wütete. Sein Feuerschein soll bis in die Schweiz zu sehen gewesen sein.
»Damals gab es noch keine Feuerwehr«, erklärt Kober und hält ein nicht sonderlich großes Ledergefäß in die Höhe. »Jeder Bürger hatte so einen Löscheimer, mit dem im Brandfall die Spritzen gefüllt wurden.« Ganze drei Feuerspritzen besaß die Stadt seinerzeit. Kein Wunder, dass die Reutlinger das Inferno damit nicht unter Kontrolle bekamen. Verwundern mag eher, dass bei dem Brand nur ein einziges Todesopfer zu beklagen war.
Das Leben der meisten Bürger spielte sich in der Folgezeit allerdings vor den Mauern der Stadt ab. »Selbst der Amtsbürgermeister zog ins Gartenhäuschen auf einem Gütle«, erzählt Kober, der auch zu berichten weiß, dass Stadtpfarrer Fischer den Reutlingern das Unglück damals gleich am nächsten Sonntag als Strafe Gottes für ihr sündiges Leben unter die Nase rieb. Und was wurde aus Schustermeister Dürr, der den Brand aus Unachtsamkeit verursacht hatte? »Man hat ihn vor Gericht gestellt und der Stadt verwiesen.«
Indirekte Spuren In einem weiten Bogen führt Helmut Kober die Gruppe vom Heimatmuseum über Kanzleiplatz, Albtorplatz, Weibermarkt, Marienkirche und Marktplatz bis zur Nikolaikirche. Mancherorts sind noch direkte Brandspuren zu erkennen, etwa die rötlich verfärbten Steine der Stadtmauer in der Jos-Weiß-Straße. Häufiger sind es indirekte Spuren, wie die beiden Wappen über dem Eingang des Naturkundemuseums. Zu Stadtbrandzeiten war in dem Haus bei der Marienkirche das Lyzeum untergebracht, das - wie insgesamt 33 öffentliche Gebäude, darunter sämtliche Schulen - vom Feuer zerstört wurde. Da es noch keine Feuerversicherung gab und die Stadt unter einer hohen Schuldenlast litt, musste der Wiederaufbau aus Spenden bestritten werden. Zwei Edelleute aus Nürnberg und Augsburg gaben ihr Geld mit der Auflage, dass es für eine Schule verwendet würde; ihre Wappen zieren das ehemalige Lyzeum.
Geschichten wie diese kennt Kober viele. Dazwischen flicht er viel Wissenswertes zur Entwicklung des Löschwesens ein. Wer mehr darüber wissen möchte, dem empfiehlt er am Ende zwei Bücher und einen Besuch im Feuerwehrmuseum in der Hauffstraße, das bei einer »Nacht der offenen Tür« am 15. Mai von 15 bis 0.30 Uhr geöffnet hat. (GEA)