Gesellschaft - Immer weniger, immer älter.
Mit der demografischen Alterung verlieren die Feuerwehren Nachwuchs. Rechtzeitig in die Zukunft denken
VON JULIE-SABINE GEIGER
ST. JOHANN/REUTLINGEN. Immer weniger, immer älter. »Alle wird's treffen«, prognostiziert Harald Herrmann. Als stellvertretender Kreisbrandmeister, Kommandant der Reutlinger Stadtfeuerwehr und Verfasser der Feuerwehr-Strukturuntersuchung für die Gemeinde St. Johann hat er von Berufs wegen in die Zukunft geschaut. Da beschert die schrumpfende Gesellschaft ihren Helfern in der Not weniger Nachwuchs, als die für ihre Schlagkraft benötigen. Vor dem Hintergrund der demografischen Alterung fordert der Stratege Feuerwehrkollegen und Gemeinderäte gleichermaßen auf, sich über die Zukunft der Feuerwehren Gedanken zu machen und frühzeitig die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. »Wir sind alle gefordert, wenn die Feuerwehren die gesetzliche Pflichtaufgabe weiterhin erfüllen sollen«, appelliert Herrmann an Kommandanten und Kommunalpolitiker, die Zukunft der Gemeindefeuerwehren zu gestalten. Die Feuerwehren müssen sich stärker öffnen« Die Dynamik der demografischen Alterung werden alle Gemeinden und Abteilungen empfindlich zu spüren bekommen, führt Herrmann aus, der sich im Strukturbericht für St. Johann auf Einschätzungen des Statistischen Bundesamts und den Demografiebericht der Bertelsmannstiftung beruft. Demnach werde die Bevölkerung bis 2050 um 16 Prozent schrumpfen, »wobei die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren, also genau dem Zeitraum der aktiven Mitwirkung in der Feuerwehr, je nach Modellrechnung zwischen 20 und 29 Prozent sinken wird,« fasst der stellvertretende Kreisbrandmeister zusammen. Weiter: Der Altersbereich, in dem junge Männer und Frauen zur Feuerwehr kommen werden, wird stark rückläufig sein. Dies wird sich auf die Verfügbarkeit der Atemschutzträger und somit auf die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr auswirken. Da sind gute Konzepte gefragt, um die Sollstärke einer leistungsfähigen Truppe für Not- und Katastrophenfälle aller Art zu halten. Zuvorderst stehe die Nachwuchsgewinnung aus den Jugendfeuerwehren, wo es welche gibt. »Zudem müssen sich die Feuerwehren öffnen«, spricht der Reutlinger Kommandant ein Thema an, von dem er weiß, dass der Zeitpunkt womöglich zu früh gewählt ist. Dabei hat Kerstin Klipp-Röcker als bis vor Kurzem Chefin der Ofterdinger Feuerwehr und als erste Kommandantin im Land vorgemacht, dass eine Frau eine Mannschaft leiten kann. Die Mutter zweier Kinder widmet sich inzwischen zwar dem Projekt Familie. Dass Frauen in der Feuerwehr aber über den Exotenstatus raus sind, findet der Reutlinger Stadtkommandant angesichts 20 bis 25 Mädchen in den Reihen der Jugendfeuerwehr der Reutlinger Abteilungen. Des Weiteren regt Herrmann an, entsprechend der Demografiestudien, in denen von Generationenerneuerung durch Migration die Rede ist, darüber nachzudenken, Einwanderer für den Dienst in der Feuerwehr zu begeistern. Dabei warnt der Experte allerdings davor, Frauen und Migranten als Lückenbüßer für klaffende Lücken in den Jahrgängen anzusprechen. Das sind Leute, die stehen zwar in einer Reihe, können aber mehr« Zudem könnten wir uns gemeinsam überlegen, Anreize für den ehrenamtlichen Einsatz zu schaffen«, ist Vordenker Herrmann bereits beim nächsten Punkt. Wozu für ihn auch die Modernisierung der historisch anmutenden Feuerwehruniform gehört. Stichpunkt Image: »Da muss man sich schon fragen, ob unser Auftreten in der Öffentlichkeit überhaupt noch zeitgemäß ist und ob das die Jugendlichen anspricht?« In Reutlinger Reihen werde das Thema bereits diskutiert. Des Weiteren kann sich Harald Herrmann vorstellen, dass die Gemeinden ihren Freiwilligen von der Feuerwehr, die schließlich des Öfteren für andere den Kopf hinhalten, ein Plus zur Rentenversicherung bezahlen. Oder dass der gesellschaftliche Dienst als ein Gütesigel bei der Jobsuche oder der beruflichen Karriere fungiert. Auf jeden Fall aber solle das Selbstbewusstsein der Freiwilligen Feuerwehr gestärkt werden. »Das sind Leute, die stehen zwar in einer Linie, können aber mehr«, hebt er für die Truppe hervor. Herrmann: »Das sind Spezialisten, die ihr Wissen wöchentlich trainieren.« Und die zum Wissen Werte wie Pünktlichkeit und Teamgeist verinnerlicht haben, die belastbar sind und für Führungsaufgaben ausgebildet werden. Für Kommandant Herrmann Punkte auf der Persönlichkeitsskala, die Arbeitgeber heutzutage hellhörig machen. (GEA)