Wie sich die Freiwilligen Feuerwehren auf Einsätze mit gefährlichen Stoffen vorbereiten
Chemikalien in Industrie und Handel, radioaktive Medizinprodukte und Biogasanlagen: Nur drei Beispiele, wie alltäglich Gefahrstoffe sind. Kommt es beim Umgang damit zum Unfall, ist die Feuerwehr gefordert.
ALEXANDER THOMYS
Region. Für die Helfer bilden solche Gefahrguteinsätze aber ganz besondere Herausforderungen: Radioaktive Strahlung etwa kann der Mensch ohne technische Hilfsmittel nicht wahrnehmen, Chemikalien können mit Wasser oder der Umgebungsluft reagieren und Säuren normale Schutzkleidung angreifen – die Ausrüstung der Floriansjünger kommt da schnell an ihre Grenzen.
Damit im Ernstfall dennoch geholfen werden kann, halten die Feuerwehren Spezialausrüstung vor. Begonnen hat diese Entwicklung im Kalten Krieg, als im Rahmen des Katastrophenschutzes erstmals ABC-Abwehrzüge gebildet wurden. So auch 1975 im Landkreis Reutlingen: Die Feuerwehren Reutlingen, Metzingen und Pfullingen erhielten eine vom Bund bezahlte Ausrüstung, die vor allem im Verteidigungsfall genutzt werden sollte, um die Einheiten des Katastrophenschutzes sowie die Bevölkerung zu dekontaminieren – also von atomaren, biologischen und chemischen Gefahrstoffen zu reinigen – und die Notversorgung mit sauberem Trinkwasser zu gewährleisten. Ein Teil dieser Ausrüstung wurde auch bei „normalen“ Gefahrguteinsätzen verwendet, so wie heute auch Löschgruppenfahrzeuge des Bundes (LF KatS) bei vielen Feuerwehren im Einsatz sind.
Weitere Ausrüstung finanzieren die Gemeinden. Dies allerdings nur dort, wo es beispielsweise große Industrieanlagen zur Gefahrenabwehr notwendig erscheinen lassen. Schließlich sind die Gemeinden nach dem baden-württembergischen Feuerwehrgesetz verpflichtet, „eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen, auszurüsten und zu unterhalten“.
Hier wird schnell klar, dass die Leistungsfähigkeit der Feuerwehren in diesem Bereich sehr unterschiedlich ist. Umfangreiche Ausrüstung für Chemieunfälle vorzuhalten, können sich kleine Gemeinden kaum leisten, zumal entsprechende Industriebetriebe vor Ort nicht existieren. Doch über die Bundes- und Landstraßen kann es auch dort zu Unfällen mit Gefahrgütern kommen – dann helfen im Rahmen der Überlandhilfe die Feuerwehren aus, die über die nötige Ausrüstung verfügen.
Doch die adäquate Ausrüstung ist nur ein Faktor. Der andere ist der Feuerwehrmann an sich. Vor allem bei den Freiwilligen Feuerwehren gibt es viel zu lernen und zu üben, um im Ernstfall effektiv reagieren zu können. Der klassische Brandeinsatz oder die technische Hilfeleistung nach einem Verkehrsunfall liegen da oftmals näher als die vergleichsweise seltenen Gefahrguteinsätze.
Aber gerade die dafür abgestimmte Ausrüstung erfordert eine Menge Training. Allein das Anlegen der unhandlichen Chemikalienschutzanzüge (CSA) samt Atemschutzgerät erfordert einige Routine – von der Arbeit in diesen Anzügen ganz zu schweigen. Hinzu kommt die körperliche Belastung: In den schnell warm werdenden CSA sollten Einsatzkräfte höchstens eine Viertelstunde arbeiten, denn anschließend erfolgt im Gefahrguteinsatz die obligatorische Dekontamination – die Reinigung der Einsatzkräfte, ehe sie die Vollschutzanzüge ablegen können. Bis die Dekontamination abgeschlossen ist, sollte die mitgeführte Atemluft aus der Pressluftflasche ausreichen.
Aber auch der Umgang mit Messgeräten, Gefahrstoffumfüllpumpen, das richtige Handeln am Dekon-Platz, um eine Verschleppung des Gefahrstoffes zu verhindern, erfordern viel Wissen und Übung. Dies wird zum Teil bei den Feuerwehren vor Ort vermittelt, zum Teil aber auch in Lehrgängen an der Landesfeuerwehrschule in Bruchsal. Dort sind die Plätze im Bereich des Katastrophenschutzes aber rar, die Wartezeiten sind entsprechend lang.
Bei vielen Feuerwehren gibt es daher Sondereinheiten, deren Mitglieder sich in zusätzlichen Diensten mit Gefahrguteinsätzen und der Spezialausrüstung beschäftigen. Im Landkreis Reutlingen gibt es solche Gefahrstoffeinheiten bei den Feuerwehren in Reutlingen, Metzingen und Pfullingen.
Doch die Spezialisierung hat auch Nachteile: Nicht alle Feuerwehrleute sind in diesem personalintensiven Bereich geschult, vor allem während der Arbeitszeit sind auch bei Weitem nicht alle Kräfte vor Ort verfügbar. Pendler sind oftmals zu weit weg und auch nicht alle Freiwilligen Feuerwehrleute können jederzeit ihren Arbeitsplatz verlassen.
Im Landkreis Reutlingen hat Kreisbrandmeister Wolfram Auch daher im vergangenen Jahr nach Lösungen gesucht, um die Einsatzbereitschaft in diesem Bereich zu erhalten. Die Lösung sieht der Kreisbrandmeister in der Kooperation der Feuerwehren: Im Mai 2014 wurde daher die erste interkommunale Vereinbarung beschlossen und der Gefahrstoffzug Reutlingen/Pfullingen gegründet.
Kräfte aus Reutlingen und Pfullingen werden nun gemeinsam alarmiert, wenn die Leitstelle entsprechende Hinweise auf einen Gefahrguteinsatz bekommt. So ist sichergestellt, das im Ernstfall genug Personal und Ausrüstung zur Verfügung steht. Im Juli 2014 wurde der Gefahrstoffzug Ermstal mit den Feuerwehren Dettingen und Metzingen aufgestellt, im September wurde dann der Gefahrstoffzug Alb ins Leben gerufen – hier arbeiten die Feuerwehren Hohenstein, Münsingen und Trochtelfingen Hand in Hand.
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Bei Übungen erfolgt die Feinabstimmung Die vereinbarte Kooperation zwischen den Feuerwehren gibt es nicht nur auf dem Papier
Das man sich im Ernstfall hilft, ist bei Feuerwehren gang und gäbe. Gemeinsame Übungen sind dagegen eher selten – die Kooperation im Gefahrgutbereich macht nun ein Umdenken erforderlich.
ALEXANDER THOMYS
Region. Man kennt und hilft sich – das ist bis dato oft die Maxime zwischen Feuerwehren. Dass man nun gemeinsam ausrückt, macht aber eine noch engere Zusammenarbeit notwendig. Welche Ausrüstung hat welche Wehr? Wie sehen die jeweiligen Vorgehensweisen aus? Solche Fragen sollten nicht erst im Einsatz geklärt werden müssen. Deutlich angenähert haben sich bereits die Gefahrstoffeinheiten der Freiwilligen Feuerwehr Pfullingen und der Feuerwehr Reutlingen, deren Sondereinheit sich aus Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr bildet. Beide Wehren verfügen über die im Landkreis umfangreichste Ausrüstung für den Gefahrguteinsatz: In Reutlingen ist ein mit einem Analyselabor ausgerüsteter ABC-Erkunderwagen des Bundes stationiert, in Pfullingen ein Bund-Fahrzeug zur Personendekontamination.
In gemeinsamen Übungsdiensten wurde zunächst die Theorie hinter der interkommunalen Vereinbarung vermittelt – wann etwa welche Kräfte ausrücken. So ist geplant, dass die jeweiligen Feuerwehren Einsätze in ihrem Stadtgebiet selbst bewältigen, erst ab einer größeren Schadenslage wird zusammengearbeitet. Außerhalb der Gemarkung Reutlingens und Pfullingens ist der gemeinsame Gefahrstoffzug für Einsätze in Eningen, Wannweil, Pliezhausen, Walddorfhäslach, Lichtenstein und Sonnenbühl zuständig.
Es folgten gemeinsame Einsatzübungen – zum Teil mit gemischten Fahrzeugbesatzungen. Im Juni diesen Jahres folgte dann eine Strahlenschutzübung mit Kräften aus Reutlingen, Pfullingen und Dettingen.
Inzwischen wurde auch der Ernstfall zusammen gemeistert: Als es in einer Reutlinger Schreinerei zu einem Großbrand kam, musste die entstandene Rauchwolke auf Schadstoffe kontrolliert werden. Die Berufsfeuerwehr Reutlingen arbeitete Hand in Hand mit den Gefahrstoffeinheiten der Freiwilligen Feuerwehren Reutlingen und Pfullingen.
Auch auf der Alb haben die beteiligten Kräfte des Gefahrstoffzuges bereits gemeinsam geübt. In einem Übungsszenario kam es bei der Firma SchwörerHaus zu einem Brand mit nachfolgendem Gefahrstoffaustritt. Während nun die Freiwilligen Feuerwehren aus Bernloch, Ödenwaldstetten, Eglingen, Pfronstetten und Gammertingen die Brandbekämpfung einleiteten, wurde zugleich der Gefahrstoffzug Alb mit den Wehren aus Hohenstein, Münsingen und Trochtelfingen eingesetzt, um die Leckage eines Reinigungsmitteltanks zu beheben und den Gefahrstoff schnellstmöglich aufzufangen.
„Das Miteinander geht wunderbar“, schildert Gerhard Schuler, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Hohenstein, seine bisherigen Eindrücke. Der Gefahrstoffzug Alb hat dabei einige besondere Herausforderungen zu meistern: Bei drei beteiligten Feuerwehren ist die Koordination besonders wichtig, außerdem sind die Wegstrecken auf der Alb entsprechend lang. Vor allem der Mangel an Atemschutzgeräteträgern macht für ihn die Kooperation notwendig. „Alleine waren wir da zu schwach, nach 20 Minuten braucht man ja im Einsatz schon den nächsten Feuerwehrmann im Schutzanzug.“ Chemikalienschutzanzüge (CSA) selbst haben nur die Wehren in Hohenstein und Münsingen. Im Gefahrstoffzug wurden nun alle Feuerwehrleute „intensiv geschult“, sodass auch die Trochtelfinger im CSA arbeiten können.
Zwei Feuerwehrleute aus Hohenstein ließen sich zudem an der Landesfeuerwehrschule weiterbilden. „Die restliche Ausbildung erfolgt am Standort“, so Schuler. In Münsingen ist das Material für den Gefahrguteinsatz in der Abteilung Stadt stationiert. „Wir wollen aber weitere Atemschutzgeräteträger aus den anderen Abteilungen entsprechend schulen“, kündigt Münsingens Kommandant Berthold Hofmann an.
Die Gefahrstoffzüge sind also für den Ernstfall gerüstet – und helfen sich über den Landkreis hinweg.